Reisebericht Jemen von Petra M. Vangelista

Die Welt.de 30.12.05 von Fabian Wolff Entführungsopfer: "Das war keine erweiterte Folklore"

Der Jemen war eins der wenigen arabischen Länder, die ich noch nicht bereist hatte. So trat ich im letzten Dezember meine Reise nach "Arabia Felix", ins "Glückliche Arabien" an, nicht ahnend, daß die Reise, anders als der Name des Zieles verheißt, verlaufen könnte.

Am ersten Tag erkundete unsere 7-köpfige Reise-Gruppe die Altstadt von Sana, die vor einigen Jahren zum "Kulturerbe der Menschheit" erklärt wurde. Enge Gassen, vielstöckige, schmale Häuser, die Fronten verziert, der Eindruck entsteht, es handle sich um Fassaden von Lebkuchenhäusern, schwarz gekleidete Frauen, tief verschleiert, Männer, die meist eine Djambia, den traditionellen Krumm-Dolch, um die Taille tragen, strahlend blauer Himmel, fremde Gerüche und Geräusche, das war mein erster Eindruck. Auf den Gassen, die den Souk, also den Markt bilden, war kaum ein Fortkommen. Gewürze, Plastikeimer, Messing-Artikel, Lebensmittel, Gold, Silber, Seife, Kleidung, kleine Handwerker-Läden, kaum größer als eine bundesdeutsche Toilette, ein 100-Quadratmeter großer Innenhof, angefüllt mit hunderten von Säcken voller Rosinen, unterschiedlich in Form, Farbe und Geschmack, eine der ältesten Moscheen der islamischen Welt - viel zu schnell endete der Altststadtbesuch am "Bab al Jemen", dem einzig erhaltenen Stadttor aus alten Tagen.

Das Mittagessen ist schnell verzehrt - wir waren schon dabei, uns den jemenitischen Geschwindigkeiten beim Essen anzupassen. Brühe, vermutlich Ziege, gekochtes Fleisch, Reis, Gemüse und dazu das zu jeder Mahlzeit gehörende Fladen-Brot. Dies alles serviert an einem von vielen langen, eng bestuhlten, mit Papier bedeckten Tischen, am Ende der Mahlzeit werden alle Reste darauf gekippt, die Decke wird zusammengeknüllt und schon ist es sauber. Der anschließende Besuch in der Küche, ein ungewohnter Anblick für Besitzer von Chrom blitzenden oder mit Holz-Fronten versehenen Einbauküchen, hätte uns auch nicht vom Essen abgehalten, wenn die Reihenfolge umgekehrt gewesen wäre. Das Essen war übrigens immer sehr schmackhaft und keiner unserer Gruppe hatte mit Magen-Darm-Problemen zu kämpfen.

Am Nachmittag stand der Besuch des National Museums mit Exponaten der viel-tausendjährigen Kultur, die teilweise heute noch sehr lebendig ist, auf dem Programm.

Den frühen Abend verbrachten wir Tee trinkend auf der Dachterrasse eines Funduks in der Altstadt - ein atemberaubender Sonnenuntergang wurde uns beschert. Auch nach Einbruch der Dunkelheit herrschte reges Treiben auf den Straßen, es gab immer noch Gemüse, Kartoffeln und die letzten Reste von Quat zu kaufen. Wie in jedem islamischen Land ist Alkohol auch im Jemen nicht verbreitet, als "Ersatz-Droge" dient Quat. Die hell-grünen Blätter, ähnlich anzusehen wie die eines ficus benjamini, und auch ähnlich schmeckend, daheim habe ich den Vergleich gewagt, werden von den Stengeln sorgfältig ab gezupft, meist auch gewaschen und dann ganz genüßlich, eins nach dem anderen, in den Mund gesteckt, gut durchgekaut und in eine Backe geschoben. Am frühen Nachmittag geht es los mit Quat-Kauen, am meisten Spaß macht es in gemütlicher Runde, mit Freunden oder Freundinnen, ja, auch die Damen machen da keine Ausnahme, die Stimmung lockert sich, es wird viel geredet und dazu Tee getrunken, die Welt steht still.

Wenn ein Jemenite keine Zeit hat, im Freundeskreis dieser Leidenschaft zu frönen, kaut er zur Not auch am Steuer seines Fahrzeuges oder bei der Führung durch das Museum. (wie unser Reiseleiter, am Ende des Nachmittages konnten wir ihn kaum noch verstehen, seine Backe war schon zu dick und hat ihn daran gehindert, sich deutlich zu artikulieren) .

Am frühen Morgen des nächsten Tages haben wir die Rundreise begonnen, die uns laut Programm über Hoteib, Hadscharra, Beit et Faquih, Hocha, Taiz und Dschibbla wieder zurück nach Sana führen sollte. Leider stand Mareb, die alte Hauptstadt der Königin von Saaba, nicht auf dem Plan.

Da die Reise jedoch nicht planmäßig endete, hatten wir das Glück, Mareb, die bekannten Tempel-Anlagen und die Reste des antiken Staudammes, der oft als achtes Weltwunder bezeichnet wird, zu sehen, am Neujahrstag, am Tag vor unserer Heimreise.

Die Landschaft, die wir durch fuhren, zwei Jeeps, im ersten saßen 3 Mitreisende und der Reiseleiter, im zweiten Jeep waren mit mir noch zwei Frauen und ein Mann, ist unbeschreiblich schön. Gewundene Straßen, hohe zerklüftete Berge, archaisch anmutende Dörfer, Sammeltaxis, vollgepfropft mit Menschen auf dem Weg irgendwohin, Terrassen-Felder, viele davon mit Quat-Bäumen bepflanzt, auf jedem steht ein Wachturm, Quat ist teuer, Ochsen, vor einen Pflug gespannt, geführt von barfüßigen Jungen, die eigentlich in der Schule sein sollten, Wasserfälle, Flaschen-Bäume ohne Blätter, dafür mit zart rosa Blüten, Wadis, Bananen-Stauden, am Wegesrand wartende Männer, ich weiß nicht auf was, bewaffnet mit einem Maschinengewehr, und über all dem der strahlend blaue, wolkenlose Himmel. Dazu fällt mir das jemenitische Sprichwort ein "man sagt, das Paradies liegt, wenn es sich im Himmel befindet, über dem Jemen; wenn es sich in der Erde befindet, eben darunter". Egal, wo wir Station machen, wir treffen nur freundliche, meist lächelnde Menschen. Niemand ist aufdringlich oder feindselig, die Kinder vor allem sind sehr aufgeschlossen, versuchen ein Gespräch anzuknüpfen, schade, daß ich nicht arabisch spreche.

Zwei Tage später verändert sich die Landschaft merklich, wir gelangen in die Tihama, das Küstengebiet am Roten Meer, eine der heißesten Gegenden der Erde. Die Menschen, die Dörfer, die Natur, alles sieht afrikanisch aus. Stroh gedeckte Rund-Hütten, Männer bekleidet mit bunten gewebten Tüchern, kraus-köpfige Kinder, Kamele, die langsam, Schritt für Schritt, die Sesam-Mühlen antreiben, der berühmte Freitags-Markt in Beit el Faquih, den wir das Glück hatten zu erleben, weil Freitag war, und dann am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, ein Bad im Roten Meer. Wir haben in Hocha, einem kleinen Fischer-Ort, in einem Camp, ebenfalls afrikanisch aussehend, übernachtet. Der gegrillte Fisch hätte nicht frischer sein können, den Sternenhimmel hab ich vorher noch nie so gesehen. Nachher schon, in den Bergen, auf 2500 Metern Höhe, als Gast bei den Bani Dabjan.

Am nächsten Morgen sind wir auf der Piste, die manchmal befahrbar ist, manchmal auch nicht, weil dann eben die Wellen darauf schlagen, entlang dem Roten Meer nach Mokha gefahren. Mokha, Namens-Geber für den Mokka-Kaffee, in längst vergessenen Zeiten ein reger Handels-Hafen, heute ein morbides, halb zerfallenes Nest.

Rechts das blaue, leicht wogende Meer, vor uns, hinter uns, links neben uns, Sand und nach kurzer Zeit auch auf uns, in uns (Poren, Nasen, Ohren, Augen). Kamel-Herden, kleine Dörfer, ein, zwei Hütten, Sträucher, selten ein entgegenkommendes Fahrzeug, unbeschreiblich, wunderschön.

Langsam verlassen wir die Tihama und erreichen wieder die Berg-Welt, alles ist grün, die Menschen sehen wieder aus wie Araber, die Frauen sind wieder verschleiert und schwarz gekleidet, unterwegs Kinder, die uns Fossilien verkaufen wollen und um Shampoo betteln, teilweise haben sie es tatsächlich notwendig, und wir erreichen Taiz, die zweitgrößte Stadt des Jemen, ehemals Sitz von Imam Ahmed, auch als zweite Hauptstadt des Jemen bezeichnet, als Tor zum Jemen, denn hier wurden ausländische Delegationen, u. a. auch Carsten Niebuhr, empfangen, vertröstet und meist wieder zurückgeschickt. Der geplante Altstadtbesuch fiel ins Wasser, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein kräftiger Wolkenbruch, die Straßen standen in kürzester Zeit unter Wasser, eine Kanalisation im europäische Sinne gibt es nicht, Sturz-Fluten, liegengebliebene Autos, nur die Insassen von Jeeps behielten trockene Füße, der ganze Schmutz, auch eine europäisch anmutende Müllabfuhr gibt es nicht, wurde Tal-abwärts gespült. Bei Einbruch der Nacht sind wir dann doch noch, mit hochgekrempelten Hosen-Beinen, über den Markt gebummelt, nein, eigentlich wurden wir geschoben, ein unvorstellbares Gedränge herrschte, Orient pur.

Am Sonntag die Rückfahrt nach Sana, gegen Abend sollten wir eintreffen, unterwegs noch einige Stops und Besichtigungen. Wir waren in Dschibbla, der Hauptstadt von Königin Arwa Bint Ahmed, der noch heute, nach tausend Jahren, beliebten und einzig schriftlich überlieferten Königin im Jemen.

60 Kilometer vor Sana, das Bier im Sheraton-Hotel schon in greifbarer Nähe, mitten auf der Hauptverkehrsstraße, viel befahren, wurden unsere Pläne durchkreuzt.

Hinter uns wildes Hupen, ein Pick-up versucht, zu überholen, die Besatzung gestikuliert wild, schwenkt die Kalaschnikows, wir beschleunigen, der Pick-up überholt doch, stellt sich quer vor uns, wir bremsen, vermummte, bewaffnete Männer zerren unseren Fahrer vom Sitz, schlagen mit der Waffe gegen die Scheiben, wir öffnen dann doch die schnell vorher verriegelten Türen, auf dem Fahrsitz und auf der Beifahrer-Seite, dazwischen Roswita, eine Mitreisende, jetzt zwei bis an die Zähne bewaffnete Männer. Eine wilde Fahrt beginnt, kurz darauf verlassen wir Straße und nun geht es mehr als vier Stunden über zumeist unbefestigte Pisten, durch Wadis, über Stock und Stein. Anfangs konnte niemand ein Wort von sich geben, wir haben wohl alle vier gedacht, im falschen Film zu sein. Die Entführer sprachen weder deutsch noch englisch, wir wußten nicht, was mit uns passiert. Unterwegs gab es eine Schießerei, Fahrer und Beifahrer feuerten fleißig zurück, wir haben damit gerechnet, jede Sekunde von einer Kugel getroffen zu werden. Um 20.30 h sind wir in Boo angekommen, unserem Domizil für die nächsten beiden Tage. Ein großes, sehr sauberes Zelt, viele Männer, bewaffnet, aber ohne Drohgebärden an den Tag zu legen, Tee in rauhen Mengen, es wurde versucht, mit uns zu reden, was sich als recht schwierig herausstellte. Anhand unserer Reise-Literatur, teilweise mit arabisch-deutschen Worten, die allerdings hauptsächlich für den Normal-Touristen und nicht für Entführungsopfer ausgewählt sind, konnten wir uns in den Hauptpunkten dann doch verständigen. Mehr oder weniger war das Anliegen ja auch klar, jeder hat schon von Entführungen im Jemen gehört, niemand denkt, daß es ihn persönlich treffen könnte. Am nächsten Tag schrieben wir ein Fax an die Deutsche Botschaft, in welchem die Forderungen der Bani Dabjan, so hieß der Stamm unserer Gastgeber, wir wurden als Gäste bezeichnet und auch so behandelt, zum Ausdruck gebracht wurden. Die Dorfbewohner kamen uns besuchen, teilweise wäre bestaunen das richtige Wort, Kinder scharten sich um uns, anhand von Steinen lernten wir arabische Zahlen und einfache Worte, danke, bitte, Toilette, Wasser usw.

Wir wurden mit Essen, Trinken, Tee und menschlicher Gesellschaft bestens versorgt. Am dritten Tag unserer Gefangenschaft wurde unser Gepäck, Lebensmittel-Vorräte, u. a. auch eine großer Karton Orangen und mehrere Pakete Kleenex-Tücher, Decken, Matratzen, Koch-Geschirr und wir natürlich in den Dubai-Jeep, das war das Fahrzeug, in welchem wir die Rundreise absolviert hatten, verladen. Mit mehreren Begleitfahrzeugen, Männern, teilweise erst 13 Jahre alt, bewaffnet mit Kalaschnikows, ein Jeep mit einem aufmontierten Raketenwerfer ging die Fahrt los, wir fuhren eine Stunde, keine Straßen, über Stock und Stein, jedoch häufig genutzt, gut an den Wagenspuren zu erkennen, in die Höhe. Ein verlassenes Dorf, die meisten Gebäude verfallen, Raad, sollte uns die nächsten 10 Tage als Aufenthaltsort dienen. Die Küche wurde funktionsfähig gemacht, die Gas-Flasche an den Kocher angeschlossen, Holz zerkleinert, der Sack Mehl, der Sack Zucker ausgeladen, unsere Matratzen, Decken, Schlafsäcke in Reih und Glied plaziert und wir haben einen ersten Rundgang unternommen, während das gerade geschlachtete Schaf zerkleinert wurde und in den Kochtopf kam.

Um uns herum zerklüftete Berge, Felsen, in weiter Ferne ein Haus zu sehen, einige gepflügte Felder, ein Brunnen, über uns wieder der endlose Himmel. Im Laufe der Tage lernten wir unsere Entführer, Bewacher oder Gastgeber besser kennen, ihre Namen, teilweise konnten wir uns ganz gut mit Händen, Füßen und zwischenzeitlich gelernten arabischen Worten verständigen, wir durften uns frei bewegen, lagen in der Sonne, haben die Umgebung beobachtet, gelesen, geredet, gedöst, wurden regelmäßig mit Essen versorgt, die Vorräte wurden erneuert, wir hatten sogar Bananen und 48 Dosen Makrelenfilets, lebende Hühner, die kurz vor dem Mittagessen geschlachtet wurden, Mangosaft und Tomatenmark. Was uns fehlte, war der Kontakt mit unseren Familien. Die Ungewißheit, wie es weitergeht, wie lange wir noch bleiben müssen, wenn wir gefragt haben, war die Antwort morgen oder übermorgen, inshallah, was heißt, vielleicht, wenn Gott will oder so ähnlich, begann, an unseren Nerven zu zerren. Dann, nach 10 Tagen, ungezählten Tassen Tee und endlosen Stunden des Wartens, sollten wir packen. Wir wurden wieder nach Boo gebracht, sollten am nächsten Tag, inshallah, nach Sana gefahren werden. 5 Tage später, es war die Nacht zum Heiligabend, wurden wir geweckt, jetzt endlich sollte es losgehen. Allerdings nicht nach Sana, wie wir dann 5 Stunden später gemerkt hatten, jetzt waren wir in Fraaga angelangt, unserer letzten Station. Ein Dorf, mehrere Häuser, einige Zelte, ziemlich weit verstreut, um uns herum wieder Berge, Einsamkeit pur. Wir schliefen im Haus einer der Entführer-Familien, zusammen mit einer Schar Kinder, der Hausfrau, deren Schwägerin und dem Familienoberhaupt. Da zwischenzeitlich auch der Ramadan begonnen hatte, verlief der Tages-Ablauf "verkehrt herum". Bis zur Mittagszeit wurde geschlafen, am Nachmittag ein Tier geschlachtet, bei Sonnenuntergang gebetet und dann gegessen , Tee getrunken und palavert. Unsere Tage haben sich noch länger gedehnt, Weihnachten war ein Tag wie jeder andere, und dann, nach einer Woche, nach endlosen Gesprächen, Diskussionen, Besuchen von Fremden, wurden wir wieder in den Jeep gesetzt, alle haben sich von uns verabschiedetet, einige wollen uns in Deutschland besuchen, und die Fahrt nach Sana ging los. Wir waren ca. 14 Stunden (einige Pausen eingerechnet) unterwegs, es hat 10 Stunden gedauert, bis wir wieder in der Zivilisation, sprich auf befestigten Straßen, waren, es gab noch etliche Aufregungen und Überraschungen, wir haben mit einem Sultan gespeist und mit einem Apotheker, der in Leipzig studiert hat, deutsch gesprochen, und dann endlich, das Innenministerium in Sana, davor der Wagen der Botschafterin, durch die deutsche Standarte zu erkennen.

Entführt wurden wir von einigen Angehörigen der Bani Dabjan, zurückgebracht von Angehörigen des gleichen Stammes. Dadurch haben sie demonstriert, daß es nicht das Verbrechen des ganzen Stammes, sondern einer kleinen Minderheit war. Die Ehre sollte wiederhergestellt werden.

Ja, es ist ein Verbrechen, dem wir zum Opfer gefallen sind. Die Motive, welche die Entführer dazu bewegt haben, kann ich verstehen. Keine Straßen, es fehlen Schulen, Krankenhäuser, Ärzte, Strom, es herrschen Zustände wie im tiefsten Mittelalter. Die Methoden kann ich jedoch nicht gut heißen. Nicht nur wir vier waren die Opfer, Haupt-leidtragende waren unsere Familien, Verwandte und Freunde.

Trotz alle dem ist der Jemen ein wunderschönes Land, die Menschen sind liebenswert und es bleibt zu hoffen, daß sich die Verhältnisse dahingehend verbessern, daß auch die Menschen, die in den abgelegensten Gebieten leben, an den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts teilhaben und sich nicht mehr veranlaßt sehen, Gäste, die eine Woche bleiben wollen, an der Abreise zu hindern und zwangsweise beherbergen.

© Petra M. Vangelista


zurück zum Anfang

Startseite