Reisebericht Iran von Petra M. Vangelista

Bilder


Trotz allem, was ich zur Vorbereitung für diese Reise und auch in den Jahren vorher über den Iran, Persien, die Revolution, den Schah, an Literatur, auch "verbotener", an Gedichten, von Goethe und Hafiz, gelesen hatte, traf mich der Kulturschock bereits beim Betreten des Flugzeuges der Iran Air.

Man kann nicht einfach seinen Personalausweis einpacken und losfliegen - ein Visum ist erforderlich, auf dem Antrag dafür muß neben den üblichen Auskünften auch eingetragen werden, wer einem auf dieser Reise begleitet, die Namen der Eltern, inklusive Geburtsnamen der Mutter, Name und Adresse des Ehemannes, falls es sich um einen weiblichen Antragsteller handelt und einiges mehr. Auch ein übliches Paßbild genügt nicht - Damen lassen sich mit Kopftuch, die Haare bedeckt, fotografieren. Männer dagegen dürfen ihre Haare, sofern noch vorhanden, zeigen.


Der Reisepaß mit Visum lies sehr lange auf sich warten - er wurde uns erst bei Abflug in Frankfurt ausgehändigt, der Reiseveranstalter hat die Pässe am Tag vorher von der Botschaft bekommen. Obwohl im Iran Farsi und nicht arabisch gesprochen wird, habe ich gemerkt, dass auch hier "Inshallah" was ganz was Wichtiges ist. Ohne Pässe keine Reise - aber es hat ja, Gott-sei-Dank, geklappt und wir konnten ins Flugzeug steigen.

Es war November und es war kalt, also habe ich meinen Hejab, d. h. die züchtige Bekleidung, schon daheim angelegt. Einen knöchellangen Mantel, den hatte ich noch, obwohl ich ihn schon jahrelang nicht mehr getragen habe, und ein Kopftuch, das die Haare, wie es sich gehört, bedeckt, haben mich auf dem Weg nach Frankfurt gewärmt. Diese Kleidungsstücke habe ich während der ganzen Reise getragen, von morgens bis abends, nur im Hotelzimmer habe ich mich davon getrennt. Auf dieser Reise hatte ich von allen meinen Reisen das wenigste Gepäck, frische Unterwäsche und Strümpfe, für jeden Tag eine Bluse, genau drei habe ich davon benutzt, den Rest habe ich daheim wieder in den Schrank gehängt. Ich hatte weder die Gelegenheit, meine Blusen "vorzuführen" noch die Möglichkeit, diese beim Essen zu verkleckern. Mein Mantel, ja der mußte anschließend in die Reinigung.

Also, während des gesamten Fluges war ich bequem in meinen Mantel gekuschelt. Da wäre nicht schlimm gewesen, wenn die Heizung im Flugzeug nicht auf Hochtouren gelaufen wäre. Die Herren der Schöpfung hatten es nämlich etwas kühl, kein Wunder, die meisten trugen Kurzarmhemden, die Sakkos hatten sie ausgezogen.

Die übliche Flasche Whiskey, auf Reisen immer recht brauchbar, wenn auch nur als Desinfektionsmittel, habe ich mir diesmal verkniffen. Einfuhr von Alkohol, auch von Schokolade mit Alkohol oder alkoholisierten Bonbons ist neben einigen anderen Dingen wie anstößiger Literatur, Zeitschriften mit leichtbekleideten Damen, Funkgeräten usw. strengstens verboten. Die Paßkontrolle in Teheran ging zügig vonstatten, eine Zollkontrolle fand gar nicht statt. Bedauern von allen Seiten, jeder hat sich das Mitbringen von irgendwas, was ihm am Herzen lag, verkniffen.

Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel, die üblichen Bilder einer Großstadt bei Nacht, Lichter, dichter Verkehr auf der Stadtautobahn, Kälte, ich war froh, meinen Mantel anzuhaben. Im Hotel Zimmerverteilung, auf die Zimmer, schlafen, kein Abendessen, die Bar, die Tee und alkoholfreies Bier ausschenkt, bereits geschlossen.

Früh am nächsten Morgen, die Luft ist klar und klirrend kalt. Der Damavand, Irans höchster Berg, ist schneebedeckt. Frühstück in Kopftuch und Mantel, der iranische Reiseleiter, der perfekt Deutsch spricht, noch nie in Deutschland war, holt uns ab. Zur Begrüßung hören wir ein Gedicht, ein Ritual, an dem wir die ganze Woche voller Freude teilhaben werden. Erst in Farsi, dann in deutscher Übersetzung. In der Landessprache klingt es poetischer. Wir fahren zunächst zum Golestan-Palast, heute Palastmuseum, der ehemaligen Residenz und Amstsitz des Schah und seiner Familie. Ein großer, viereckiger, eigentlich unscheinbarer Bau in einer gepflegten Gartenanlage. Scharen von Gärtnern sind beschäftigt, die Pflanzen zu hegen und die Wege sauber zuhalten. Im Inneren, eine Pracht, herrlich anzusehen, die Fotos, die ich im Hinterkopf habe, als Kind in Illustrierten entdeckt, verblassen vor der Wirklichkeit.

Am Nachmittag besuchen wir das Archäologische Museum, zwischendurch essen wir in einem Teehaus, in einem Park gelegen, zu Mittag. Später machen wir eine Besuch bei AITO, der Agentur, die für unsere Reise verantwortlich ist. Wir werden begrüßt, herumgeführt, es gibt Computer mit Internet-Anschluss wie bei uns auch, die Schreibtische dicht an dicht, Männer und Frauen nebeneinander. Die Frauen auch hier in Mantel und Kopftuch, jung, ungeschminkt, verwirklichen sie sich bei ihrer Arbeit, was tragen sie unter dem Mantel?

Die Fahrt am nächsten Tag zum Damavand, wir sind sehr zeitig aufgebrochen, um der Rush-hour zu entgehen, führt uns durch eine wundervolle Landschaft. Unterwegs, an einem Rasthaus, machen wir halt. Dort stehen auch einige Überlandbusse, vor einem ist der Spirituskocher aufgebaut, Tee wird zubereitet und Eier werden gebraten. Praktischerweise steht das Rasthaus neben einer Moschee, oder umgekehrt, so können die spirituellen Bedürfnisse auch gleich befriedigt werden. Zwischenzeitlich haben wir die Schneegrenze erreicht, wir stapfen durch den frischen Schnee, schneeweiß , keine Industrie, keine Abgase, unberührt. Unser Fahrer und Beifahrer versorgen uns anschließend mit Tee und Keksen, wir ziehen die Schuhe aus, rubbeln unsere Füsse wieder warm. Am Nachmittag besuchen wir das Keramik- und Glasmuseum mit herrlichen Exponaten, einem Projekt von Farah Diba. In der Kristallgalerie bewundern wir Parfümfläschchen aus der Zeit von Kyros dem Grossen und Dareios. Vielleicht hat auch Alexander in Persepolis genau dies betrachtet, welches mir am besten gefällt. Meine Fantasie trägt mich davon.

Zurück im Hotel, wir haben Besuch. Studenten der Touristik sind eingeladen, sich mit uns zu unterhalten. Alle sprechen Englisch, auch die Frauen sind offen, jeder ist neugierig, sie genauso wie wir. Einer der jungen Männer war schon mal in Europa, er stellt tausend Fragen, ob es in Paris noch genauso aussieht wie vor ein paar Jahren. Die Gespräche sind lebhaft, zwischendurch wird Abendessen serviert, aber das ist Nebensache. Eine der jungen Frauen, die Lippen rot geschminkt, nimmt zögerlich eine Zigarette, rauchen ist verpönt, dann wird sie von ihrem Chauffeur abgeholt. Sie stammt wohl nicht aus der Mittelklasse.

Am Montag brechen wir gegen 8 h auf, die Reise führt uns nach Isfahan. Wir machen Station beim Grabmal von Imam Khomenyni, an dem immer noch gebaut wird. Obwohl es sehr früh ist, sind bereits Unmengen von Pilgern hier, teilweise haben sie hier geschlafen, Toiletten- und Duschanlagen sind gleich nebenan. Wir Frauen gehen durch den linken Eingang, die Herren durch den rechten, ziehen unsere Schuhe aus, gehen durch ein Heimann-Durchleuchtungsgerät wie auf dem Flughafen, werden abgetastet, natürlich von Frauen, bei mir pipst es, ich hole meinen Taschenaschenbecher heraus, verständnislose Blicke, bis ich ihnen zeige, zu was ich ihn nutze, dann Lachen, ich werde durchgewunken, im Inneren treffen wir wieder auf die Herren. Die Halle ist riesengroß, darin der Schrein mit dem Sarkophag, umgeben von einem Gitter. Frauen knien davor nieder, küssen das Gitter, Kinder, einige Schulklassen sind auch hier, sie rennen herum, von ehrfürchtiger Stille, die in unseren Kirchen und auf Friedhöfen herrscht, keine Spur.

In Qom, dem zweitwichtigsten Pilgerort neben Mashad, steigen wir erst einnmal auf das Dach einer Bäckerei, um das Grabmal, besonders die Kuppel, der Fatimeh Masumeh zu bewundern.
Eine Kuppel aus Gold, eine aus Keramik. Beim Runtersteigen bekommen wir einen frischen Brotfladen in die Hand gedrückt. Das Grabmal selbst dürfen wir natürlich nicht besichtigen, das ist Moslems vorbehalten. Wir machen einen kleinen Spaziergang durch die Stadt, erstehen ein Fläschchen Rosenöl. Die Blicke der Bevölkerung hier kommen mir nicht so freundlich vor wie in Teheran. Teilweise stechende Blicke, ich senke den Kopf, sehe niemanden direkt an. Als wir weiterfahren, haben sich die Parkplätze restlos gefüllt, es wird fleissig gepilgert.

In Kashan essen wir zu Mittag, die Stimmung ist ganz anders, die Wirtin unseres Lokales ist eine Engländerin. Wir besichtigen den Khaneh Borudjerdiha, den Wohnpalast einer Kaufmannsfamilie, ein wundervolles Beispiel für die Lehmziegelarchitekur um die Mitte des 19. Jh., in einer Gartenanlage gelegen, durchzogen von kleinen Bächen, Bassins mit Springbrunnen und einem grossartigen Baumbestand. Als wir in Natanz ankommen, ist es leider schon dunkel. Wir können die Freitagsmoschee besichtigen und gehen in eine Töpferei, die aussieht, als besteht sie schon seit Erfindung der Töpferkunst. Kleine dunkle Räume, Töpfer die ihre Scheiben drehen, die Bemalung wird von Hand angebracht, ich entdecke eine Katze, leider ist sie noch nicht fertig gebrannt.

Isfahan, die Perle des Orients, erreichen wir nach 20 Uhr. Wir essen im Hotel, es gibt eine Pizzeria, dann machen wir einen Abendspaziergang über den breiten Boulevard, alles ist voller Menschen, wir gehen zum Fluß, die Brücken sind beleuchtet, ein romantischer Anblick. Die Frauen hier, einige, tragen keine Strümpfe, sie laufen mit offenen Schuhen, die Zehen teilweise rot lackiert, ein erstaunlicher Anblick. Ach ja, wir sind mittlerweile im Süden, der schneebedeckte Damavand könnte in einem anderen Land sein, hier ist Sommer. Ich schwitze in Mantel und Kopftuch. Auf dem Rückweg kaufen wir in einer Bäckerei köstliche Kekse, die wir gleich an Ort und Stelle probieren dürfen. Eine Familie mit Kind kauft ebenfalls ein. Die Frau lächelt, schiebt einer von uns das Kopftuch zurück, offensichtlich war das doch zuviel des Guten. Am nächsten Tag ändern wir das Programm, wir wollten eigentlich das Palastareal besichtigen, eine politische Versammlung mit Chatami hat unsere Pläne durchkreuzt. Am Abend haben wir im Fernsehen gesehen, der Platz, 150 m breit und 500 m lang, war dunkel vor Menschen, dicht an dicht, offensichtlich ging alles friedlich ab.
Wir machen einen Spaziergang, diesmal bei Licht, über die Brücken, am Nachmittag besichtigen wir die Freitagsmoschee und machen einen Bummel über den Bazar, der um die Moschee herum abgehalten wird. Wir bekommen Einkaufszettel, in Farsi, und sollen die Dinge besorgen, die darauf notiert sind. Dazu gibt es Geld und die Ermahnung, alles genauso zu erledigen, es handle sich schliesslich um unser Mittagessen für den nächsten Tag. Das meiste haben wir richtig geliefert, ein Händler hat uns zum anderen geschickt, falls er das gesuchte nicht hatte, wir hatten riesigen Spass, und die Händler auch. Im Abbasi-Hotel, heute Hotel, früher Karawanserei, lediglich die Bezeichnung hat sich geändert, haben wir Tee getrunken und Wasserpfeife geraucht.

Die politische Veranstaltung war vorbei, am nächsten Tag konnten wir den Meydan-e Imam Platz mit seinen Prachtbauten aus verschiedenen Epochen besichtigen. Besonders gefallen hat mir die Shaikh Lotfollah-Moschee. Sie wurde auf Veranlassung von Shah Abbas für seine Frauen, gegenüber dem Ali Qapu-Palast, gebaut. Ein unterirdischer Gang hat die Damen vor fremden Blicken geschützt. Nach unserem Picknick in einem Park, jetzt war mein Mantel doch ziemlich mitgenommen, sind wir über den Bazar geschlendert, ich hab einige Tischdecken erstanden, ein freundlicher Ladeninhaber hat uns den Weg zu einer Toilette gezeigt und sich auch gleich zum Teetrinken in der daneben liegenden Teestube eingeladen.
Ich hatte mir vorgenommen, keinen Teppich zu kaufen und bis jetzt durchgehalten. Auf dem Weg zum Hotel ist es dann doch passiert. Ich hab den Teppich gesehen, der Händler meine gierigen Augen und schon war er verpackt. Eine Tragetasche gab es gratis dazu. In meinem Koffer war ja noch Platz, dank des gepäcksparenden Mantels.


Am Donnerstag haben wir uns um 5.30 h auf den Weg gemacht - Richtung Shiraz. Das Frühstück war schnell verzehrt, wer kann schon essen, wenn er noch schläft. Für mich sollte heute der Höhepunkt der Reise kommen, Persepolis. Dieser klangvolle Name geistert schon seit Jahrzehnten durch meinen Kopf. In Parsagadae, der ersten Hauptstadt des Achämeniden-Reiches, haben wir Station gemacht. Wundervoll in eine Hochebene eingebettet, einige Säulen und ein Feuerheiligtum sind noch erhalten. Etwas abseits, das Grabmal Kyros des Grossen, vor welchem laut Plutarch schon Alexander gestanden hat. Er erwiess ihm die Ehre und stellt Wachen auf. Die Grabinschrift, von Plutarch überliefert, lautete: "Mensch, wer du auch sein und woher du kommen magst - denn dass du kommst, weiss ich- ich bin Kyros, der den Persern die Herrschaft erworben hat. Missgönnt mir nicht die wenige Erde, die meinen Leichnam bedeckt." Schauer rieseln mir über den Rücken.

Zurück in der Gegenwart verzehren wir das Fleisch, das der Fahrer und Beifahrer zwischenzeitlich gegrillt haben. Dazu gibt es Brot, Tomaten, Oliven, Käse und Coca Cola. Alle Limonaden werden hier Coca Cola genannt, die Amerikaner haben auch ihre guten Seiten. Dazu zählen auch Nikes und Kaugummi.

Am frühen Nachmittag besichtigen wir Naqsh-e Rostam, die Nekropole der Archämeniden. Die Felsengräber erinnern entfernt an die der Nabataer in Petra. Alle sind sie hier versammelt, Darius, I und II, Xerxes und Ataxerxes, die Bücher der Geschichte von Herodot werden hier lebendig. Die Felsreliefs sehen aus, als wären sie gerade vollendet, ihr Alter von mehr als 2000 Jahren kann man ihnen nicht ansehen.

Persepolis erreichen wir kurz darauf. Ein strahlendblauer Himmel überspannt diese geschichtsträchtige Stätte. Worte sind zwecklos. Vieles ist wunderbar erhalten, die Säulen ragen hoch auf in den Himmel, die Reliefs zeigen uns Bilder aus der Vergangenheit. In ca. 40 m Höhe befindet sich das Felsengrab von Artaxerxes II. Von hier sehen wir die Sonne untergehen. Die Schatten werden länger und länger, dann ist nichts mehr zu erkennen, nur noch zu erahnen.

In Shiraz, der Stadt der Liebe, der Dichter, der Rosen und der Nachtigallen fahren wir zum Shah Cheraqh-Mausoleum. Obwohl es schon sehr spät ist, sind große Scharen von Gläubigen hier, der Hof ist bevölkert, der Innenraum, sowohl das Frauen- als auch das Männerabteil. Ich bin irgendwie peinlich berührt, im Frauenabteil drangvolle Enge, Alte, Junge, Kinder, teilweise beten sie, sie essen, sie weinen, sie schlafen, ich spüre ein nie gekanntes Gefühl von Intensität. Ich komme mir vor wie ein Voyeur vor und gehe gleich wieder hinaus.

Am nächsten Tag das Mausoleum von Hafiz und das Grabmal von Saadi. Beide Stätten gut besucht, Familien und Frischverheiratete machen einen Ausflug. Beide Dichter werden noch nach 1000 Jahren hochverehrt, am Grab von Hafiz findet eine Dichterlesung statt, rings herum blühende Gärten, eine ganz andere, heitere Stimmung, als am Abend vorher.

Der Rückflug nach Teheran dauert eine Stunde, die Fahrt zum Hotel, es ist Rush-Hour, nochmals eine, die Fahrt zum Lokal, Abschiedsessen, eine weitere. Auch hier ein ungewohnter Anblick, Familien, die Frauen geschminkt, kniekurze Röcke, ohne Mantel, offene Schuhe, mit hohen Absätzen, die Herren mit Anzug und Krawatte, westliche Dekadenz, offene Revolte. Von Religionswächtern ist nichts zu sehen, alle essen und sind vergnügt. Die Musik spielt. Das Leben geht weiter.

Über die Politik im Iran kann man denken was man will, die Menschen sind hier genau wie überall auf der Welt, liebenswert. Jeder versucht, der gegebenen Situation das beste abzugewinnen.
So auch Omar Khayam:
Siehst du der Blumen Pracht, das frische Laub?
In einer Woche ists des Herbstwinds Raub.
Drum trink und pflücke nur die Blumen schnell,
Ehe du wie sie zerfallen bist zu Staub.


© 2000 by Petra M. Vangelista


zurück zum Anfang

Startseite